Interview mit Mario Wolters „Transformation braucht Klarheit!“

Für viele Unternehmen ist die digitale Transformation ein Schreckensgespenst. Der Begriff ist schwammig. Der Weg ungewiss. Das Ziel erst recht. Alexander Bürkle ist ein 118 Jahre altes Handelsunternehmen in der 4. Generation, das sich auf die Reise gemacht und einen einzigartigen Prozess durchlaufen hat. Mitte Oktober war ich auf der Mission M, einer Zukunftsveranstaltung für junge Macher/innen im Mittelstand. Dort haben Andreas Ege, geschäftsführender Gesellschafter, und Mario Wolters, Leiter des E-Business, ihre Antworten auf die Frage nach einer gelungenen Transformation präsentiert. Alexander Bürkle hat sich als Vorreiter und Mutmacher für den deutschen Mittelstand etabliert. Ich freue mich, Mario Wolters heute hier im Interview zu haben und spreche mit ihm über die digitale Transformation, Erfolgsfaktoren und die Rolle des Rebrandings …

Mario, ihr habt den Wandel vom Elektrogroßhandel zum Technologiedienstleister vollzogen. Wie war das damals, als ihr angefangen habt euer Geschäftsmodell in Frage zu stellen: Was war euer Ausgangspunkt? Was waren eure Schmerzpunkte?

Der Ausgangspunkt war spannenderweise der Wunsch nach einem neuen Slogan für Alexander Bürkle. Wir haben unsere damalige Agentur gebeten, ein paar Entwürfe zu machen. Nach dem ersten Wurf war uns klar: Hier braucht es mehr als nur einen neuen Slogan oder ein neues Logo. Daraufhin haben wir über die Geschäftsleitung Kontakt zur Agentur Strichpunkt aufgenommen, die uns knallhart den Spiegel vorgehalten hat. Sie hat uns aufgezeigt, wie sehr wir uns ändern müssen, um die Leistungen und das Know-How, das wir die letzten Jahre aufgebaut haben, kommunizieren zu können. Der Prozess war sehr langwierig. Gut sechs Monate haben wir in unzähligen Workshops verstehen müssen, wer wir waren und wer wir sind. Erst dann waren wir in der Lage zu überlegen, wer wir sein wollen und wen der Markt überhaupt braucht. Vorher gab es keine Designkonzepte. Das Hinterfragen des Geschäftsmodells war leicht, nachdem wir realisiert hatten, dass die Zukunft nur besser werden kann.

„Uns war klar: Hier braucht es
mehr als nur ein neues Logo.“

Wo steht Alexander Bürkle heute?

Alexander Bürkle hat eine gigantische – und für den Mittelstand einzigartige – Reise hinter sich gebracht. Angefangen beim Rebranding des gesamten Unternehmens (sowohl online als auch offline), über die Auszeichnung mit vier Red Dot Awards für unsere besonderen Projekte bis hin zum Aufbau einer 30-köpfigen Digitalagentur ist kein Stein auf dem anderen geblieben. Derzeit befinden wir uns in einem großen Restrukturierungsprojekt, um die visuelle und kulturelle Veränderung auch operativ umsetzen zu können. Bestehende Strukturen werden hinterfragt. Revolutionär neue Führungsansätze wie „Holacracy“ werden in Erwägung gezogen. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserer Transformation niemals „fertig“ sein werden. Vielmehr läutet sie eine neue Ära ein, in welcher wir uns fortlaufend gesund hinterfragen und weiterentwickeln wollen.

Den Wandel habt ihr nicht nur intern vollzogen, sondern auch sichtbar nach außen: Mit einem komplett neuen Corporate Design. Inwiefern hat euch das Rebranding bei der digitalen Transformation unterstützt?

Wir waren schon sehr lange auf einer Transformationsreise – ohne das wirklich so zu verstehen oder zu benennen. Schon vor Jahren haben wir begonnen, Dienstleistungen und Software zusätzlich zu unseren klassischen Handelsprodukten zu verkaufen. Das neue Branding unterstützt uns, den internen Wandel nach außen zu tragen. Parallel wurden unsere Transformationsansätze noch etwas schärfer, die Ideen wilder und die Visionen mutiger. Hierfür war das Rebranding elementar. Heute traut uns der Markt zu, dass wir im Bereich Elektrotechnik der innovativste Technologiepartner Deutschlands sind. Außerdem gewinnen wir High Potentials, die früher nie in Erwägung gezogen hätten für uns zu arbeiten. Dadurch haben wir besonders in der Digitalabteilung ein sehr spannendes und diverses Team aufgebaut. Mit ehemaligen Konzern-Beratern, Pädagogen, Kognitionswissenschaftler, Psychologen, Mechatroniker, Physiker, Entwickler, Business Developer, Designer, Kaufleute – es ist alles dabei. Der Aufbau dieses Teams wäre ohne das Rebranding beinahe unmöglich gewesen. Frei nach Simon Sinek: People don‘t buy what you do, but why you do it.

In eurem Vortrag fiel der Satz „Digitale Transformation ist mehr als nur ein Logo“. Andersherum gefragt: Geht digitale Transformation auch ohne neues Logo? Welchen Stellenwert hat euer neues Logo für euch?

Das neue Logo wurde für uns ungeplant fundamental. Vor allem bei der internen Kommunikation. Was wir überhaupt nicht erwartet hatten, was aber umso erfreulicher war: Die Mitarbeiter konnten sich mit dem neuen Logo am meisten identifizieren. Digitale Transformation geht vielleicht auch ohne neues Logo. Dann braucht es einen Ersatz, um das Neue kommunikativ richtig aufzuladen und eine Identifikation der Mitarbeiter mit dem Veränderungsprozess zu ermöglichen. Eines unserer größten Learnings war: Transformation ist nicht planbar. Genauso wenig das Logo. Ungeplant wurde es unverzichtbar.

Was waren eure größten Erkenntnisse aus dem Rebranding-Prozess? Und was eure größten Stolpersteine?

Die größte Erkenntnis lag darin, das eine solche Transformation von der obersten Ebene getragen werden muss. Andreas Ege, geschäftsführender Gesellschafter, hat das gesamte Projekt selbst verantwortet und operativ begleitet. Nur dadurch war es uns möglich, die Transformation so konsequent anzugehen.

Wir haben fünf Thesen aufgestellt, die es zu beachten gilt, wenn die digitale Transformation gelingen soll:

  • Transformation ist ganzheitlich!
    Es muss möglich sein, alle Bereiche im Unternehmen anzusprechen. Es darf keine Tabus geben. Unsere acht Kernbereiche für die Transformation sind Identität, Marke, Kultur, Organisation, Geschäftsmodelle, Kommunikation, IT-Infrastruktur und CRM.
  • Transformation braucht Klarheit!
    Es ist leicht, Einfaches komplex zu beschreiben. Die Kunst liegt darin, Komplexes einfach zu beschreiben. Genau das haben wir versucht, indem wir bspw. unsere mehr als ein dutzend Marken auf ein Zeichen (das Superzeichen) reduziert haben.
  • Transformation braucht eine starke Kultur!
    Die digitale Transformation steht und fällt mit der internen und externen Unternehmenskultur. Wird die neue Arbeits- und Denkweise nicht getragen, können zugrunde liegenden Geschäftsmodelle nicht florieren. Sie werden früher oder später dem Tagesgeschäft zum Opfer fallen.
  • Transformation braucht Dialog!
    Während die Geschäftsführung früher vielleicht 20% ihrer Zeit kommuniziert hat, sind heute mit Sicherheit 60% nötig, um im ständigen Dialog mit den Mitarbeitern zu sein. Die Transformation muss ausreichend erklärt und kommuniziert werden.
  • Transformation braucht Leidenschaft!
    Ohne ein starkes, motiviertes Team, das für die Transformation brennt, wird es schwierig, das restliche Unternehmen anzuzünden. Nur wenn die Geschäftsführung vor allen anderen für das Neue brennt, werden die Botschafter innerhalb des Unternehmens als Staffelträger und Transformatoren anerkannt und wahrgenommen.

Bei euch arbeiten über 800 Menschen in 22 Niederlassungen. Wie ist es euch gelungen, eure Mitarbeiter für euer Vorhaben zu begeistern und in den Prozess einzubinden? Wie konntet ihr den Wandel innerhalb der Unternehmenskultur vollziehen?

Unter anderem haben wir einen internen Blog gestartet. Mitarbeiter konnten dort Ideen einstellen, diese gegenseitig liken und kommentieren. Es wurden verschiedene Impulsvorträge von Top-Speakern abgehalten, die für alle Mitarbeiter frei zugänglich waren. Projektgruppen wurden gegründet, die Ideen aus dem Mitarbeiterblog bearbeitet haben. Sogenannte „Stolpersteine“, das heißt spannende Designelemente, wurden im Unternehmen verteilt. Es wurden Transformationstagebücher ausgegeben: Mit 30 Seiten Neuheiten und 365 leeren Seiten für eigene Ideen. Zu Weihnachten wurden Osterhasen mit roten Ohren und dem Aufruf „Denk quer“ verschenkt. Ein Containerdorf, bestehend aus drei Räumen und insgesamt 14 Seecontainern wurde errichtet, um Raum für Neues zu schaffen. Dort wurden viele Parties veranstaltet, ein Hochglanz-Zukunftsmagazin konzipiert und gestaltet, das wir alle sechs Monate an unsere Mitarbeiter und Partner verteilen. Es wurden Plakate, Sticker, Handyhüllen, Bilder, Tassen, Hintergrundbilder, Screensaver, Stifte, Leuchten, Blöcke und viele weitere Elemente genutzt, um das Neue greifbar zu machen. Wir haben ganz klar festgestellt: Transformation bedeutet etwas Neues zu schaffen, nicht nur Bestehendes weiterzuentwickeln.

Begriffe wie Digitale Transformation, Disruption und agiles Arbeiten geistern durch die Unternehmenswelt. Viele Unternehmen lähmt die Angst vor dem unbekannten Terrain. Abschließend eine Frage für alle Mittelständler, die gerade beginnen, sich mit der neuen Arbeitswelt zu beschäftigen: Was kannst Du empfehlen: Wie gelingt der schwierige erste Schritt?

Transformation ist nicht planbar. Wir hätten niemals abschätzen können, dass unsere Digitalabteilung innerhalb von zwei Jahren von drei auf 30 Mitarbeiter wächst. Wir hätten nicht erwartet, dass ein medialer Pull, bestehend aus Unternehmen, Verbänden, Studenten, Hochschulen und Medien, derart auf uns einprasselt. Wir hätte nicht gedacht, dass der Zeithorizont allein bis zum Launch der Marke gut 18 Monate beansprucht. Und vor allem: Wir hätten niemals gedacht, dass alles erst der Anfang ist. Und es wird nie aufhören. One step after another. Wichtig: Nicht „fail fast“ (das impliziert, man WILL scheitern), sondern versuchen, langfristig Erfolg zu haben. Das ist ein gewaltiger Unterschied. Wenn auf dem Weg dorthin Scheitern dazugehört: fein! Niederlagen sind nicht das Gegenteil von Erfolg, sondern seine Grundlage. Getreu unserem Motto: Fang einfach an, hör niemals auf.

Vielen Dank für dieses sympathische Gespräch, Mario. Ich bin mir sicher, dass ihr vielen anderen Unternehmen Mut macht, die Zukunft als Chance zu begreifen. Viel Erfolg weiterhin!

Weiterführende Informationen: Alexander Bürkle, Mario Wolters und Strichpunkt
Fotos: © Alexander Bürkle

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